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    Wasser (oder: warum regnet es?) (Kurzgeschichte)

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    Beitrag  Admin Do Okt 06, 2011 6:50 am

    Der letzte Glockenschlag der Kirche verklingt. Es ist Mitternacht. Claudia steht auf der Brücke. Sie sieht hinunter. Das Wasser fließt vorbei. Es beginnt zu regnen. Die Tropfen fallen schwer vom schwarzen Himmel. Sie fließen in Strömen Claudias Gesicht hinunter, vermischen sich mit ihren Tränen. ‚Meine Schminke ist nicht wasserfest.’, denkt sie sich. Das Wasser unter ihr fließt weiter. ‚Aber was kümmert mich noch mein Make-up? Es ist sowieso alles vorbei.’ Der Regen wird stärker. ‚Man kann kaum noch etwas sehen.’, denkt Claudia. Der Regen wird immer noch stärker. Jetzt blitzt es. „Da kommt ein Unwetter.“, sagt Claudia zu sich selbst. Niemand hört sie. Sie steht auf einer Brücke. Im Regen. Allein. „Wie lange stehe ich schon hier?“, fragt sie sich. „Es kommt mir wie Jahre vor.“ Das Wasser im Fluss rauscht laut. Sie steigt auf das Geländer der Brücke. ‚Ich werde ganz nass.’, denkt sie sich. ‚Eigentlich ist es aber egal. Ich kann mich ja nicht mehr erkälten.’ Sie sieht sich mit leerem Blick um. „Da ist der Kiosk, wo ich mir immer meine Zeitung hole.“, bemerkt sie. „Und dort ist die Boutique, wo ich mir letzte Woche das Kleid gekauft habe.“
    Es hängt noch im Schrank. „Und da vorne ist die Kirche. Mit der Glocke, die so wunderbar klingt.“ Die Glocke, die jetzt schlägt. Die Glocke schlägt viermal. Es blitzt nochmals. Es donnert. ‚Es kommt näher.’, denkt sich Claudia. „Sehr schnell.“, sagt sie leise. Der Regen wird immer stärker. Das Rauschen des Flusses nimmt zu. Ein Schatten taucht auf. Ein dunkler Schatten in den Regen-schlieren. „Wer das wohl sein könnte?“, fragt sich Claudia. ‚Ist doch egal.’, denkt sie jetzt. Der Schatten kommt näher. Das Gewitter auch. Der Schatten bleibt stehen. „Hallo.“, sagt er zu Claudia. Keine Antwort. „Was machst du da?“, will der Schatten wissen. Keine Antwort. „Dreh dich um, wenn ich mit dir rede!“, verlautet der Schatten mit verärgertem Unterton. Claudia dreht sich um. „Also, was machst du da?“, fragt der Schatten nochmals. Der Schatten ist ein Mann. Er trägt einen Schirm. Einen großen schwarzen Schirm. „Ich sterbe.“, antwortete Claudia tonlos. Der Mann scheint verblüfft. „Warum?“, will er wissen. Keine Antwort. „Das solltest du nicht tun.“, rät der Mann. Er sieht jung aus. ‚Vielleicht ist er Student.’, denkt Claudia. „Ich bin auch Studentin.“, sagt sie zu ihm. Der Mann scheint wieder verwirrt. „Du denkst, dass ich Student bin?“, fragt er. Wieder keine Antwort. Der Regen fällt weiter. Es donnert und blitzt. „Komm runter.“, sagt der Student zu Claudia. „Warum?“, fragt sie. „Warum nicht?“, entgegnet er. Claudia dreht sich um. „Es regnet,“, sagt Claudia, „in mir.“ „Warum regnet es?“, fragt der Mann. Der Fluss rauscht. „Weil mich jemand verletzt hat.“ Der Student schweigt. Es regnet weiter. „Dann solltest du dir einen Schirm nehmen, damit du nicht nass wirst.“, sagte der Student. „Woher soll ich den nehmen?“, fragt Claudia. Es donnert. „Komm, ich gebe dir meinen.“, bietet der Student an. Claudia sieht ihn nicht an. Sie steht auf dem Geländer. Sie schaut in die Tiefen des Flusses. Das Wasser fließt reißend weiter. Die Glocke schlägt. Der Morgen graut. Es regnet.

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