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    Der Anruf (Kurzgeschichte)

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    Beitrag  Admin Do Okt 06, 2011 6:43 am

    „Hast du noch immer nichts von ihnen gehört?“ „Nein. Leider nicht.“ „Sie müssen doch aber anrufen.“ Die Frau sieht aus dem Fenster. Der Mann sieht sie an. Sein Blick ist traurig. Das Telefon ist stumm. Draußen liegt Schnee. „Es ist kalt draußen.“, sagt die Frau. Sie schaut den Mann an. Er geht zu ihr. Das Telefon schweigt. Die Frau streckt ihre Hände Richtung Tisch. Sie nimmt ihre Stricksachen. Der Mann bleibt neben ihr stehen. Er schaut aus dem Fenster. Draußen ist es still. Genau wie das Telefon. „Sie haben doch gesagt, dass sie anrufen.“ „Ja, das haben sie.“ Die Frau lächelt abwesend. „Dann werden sie das bestimmt machen.“ Der Mann schaut die Frau an. Sein Blick ist traurig. Das Telefon klingelt nicht. „Ich stricke einen Schal für Julia.“ „Der wird ihr sicher gefallen.“, sagt der Mann. Die Frau lächelt sanft. Das Telefon gibt keinen Ton von sich. Die Frau bewegt die Stricknadeln auf und ab. Das Telefon bewegt sich nicht. „Sie sind bestimmt noch unterwegs. Darum rufen sie nicht an.“ Die Frau nickt sich selbst zustimmend zu. Der Mann schaut weg. Das Telefon ist ruhig. „Sie werden bestimmt anrufen, wenn sie zu Hause sind.“, sagt die Frau. Sie strickt weiter. Der Mann setzt sich auf einen Stuhl, welcher neben ihr steht. Er sieht aus dem Fenster. Sein Blick wird trauriger. Die Uhr tickt. Der Wind draußen pfeift um das Haus. Der Mann sieht zum Telefon. Zu einem stummen Telefon. Er schaut zu der Frau. „Die beiden werden sicher im Stau stehen.“, sagt die Frau. Der Mann nickt nur. Er schweigt. Genauso wie das Telefon. Draußen bläst ein kalter Wind. Es ist dunkel, eisig. Der Mann steht auf. Das Telefon bleibt stumm. Er schaltet den Fernseher ein. Das Telefon klingelt nicht. Der Nachrichtensprecher redet über ein Pärchen, welchs im Koma liegt. Der Mann schluckt. Er schaltet den Fernseher aus. Das Telefon rührt sich nicht. Die Frau lächelt abwesend. Sie strickt weiter. Die Stricknadeln klappern laut im stillen Raum. Ungestört, ohne ein klingelndes Telefon. „Ich werde Julia diesen Schal zu Weihnachten schenken.“, sagt die Frau. Der Mann sagt nichts. Er sieht die Frau nicht an. „Sie friert doch immer so.“ Der Mann steht auf. Er geht zum Fenster. Der Wind heult laut. Die Uhr tickt leise. Das Telefon läutet nicht. Die Frau strickt weiter. „Für Peter werde ich eine Mütze stricken. Die mag er doch so sehr.“ „Ja, da hast du Recht, Mutter.“ Schweigen. Die Stricknadeln klappern weiter. Der Wind pfeift. Das Telefon meldet sich nicht. Die Uhr tickt weiter. „Wann bist du fertig mit den Sachen?“, fragt der Mann. Er sieht die Frau nicht an. „Ich gebe ihnen dann die Sachen.“, sagt der Mann. „Den Schal.“ Er schluckt. „Und die Mütze auch.“ Nichts stört das Geräusch der sich bewegenden Nadeln. Auch kein läutendes Telefon. Die Frau sieht auf. Sie schaut den Mann an. Er steht mit dem Rücken zu ihr. „Mein Junge.“, sagt sie ganz leise. Sie schaukelt ein kleines bisschen mit ihrem Schaukelstuhl.
    „Dieser Stuhl von dir und Peter ist sehr bequem.“ Der Mann bewegt sich nicht. Das Telefon bleibt still. „Wann sie wohl anrufen werden? Es ist doch schon dunkel draußen.“, sagt die alte Frau. Sie schaut auf den Rücken des Mannes. Der Mann nickt kurz. Er starrt aus dem Fenster. Er schaut in die Dunkelheit. Seine Augen sind feucht. Sein Blick ist traurig. Das Telefon klingelt nicht. „Die beiden lassen sich aber Zeit, finde ich.“ Die Frau lächelt nicht mehr. Der Mann schweigt. Die Frau sieht weg. Sie beginnt wieder zu stricken. Das Klappern ist gut zu hören im stillen Raum. Die Frau beginnt wieder mit dem Schaukelstuhl zu schaukeln. Das Telefon rührt sich nicht. Der Mann atmet tief ein. Er hält kurz die Luft an. Er atmet aus. Die Glasscheibe vor ihm beschlägt. Er dreht sich um. Die Frau sit versunken in die Strickerei. Der Mann sieht der alten Frau zu. Er hat einen traurigen Blick. Er schaut weg. Er erblickt das Foto auf dem Tisch. Das Bild von ihm. Und Peter. Und Julia. Das Bild steht einfach nur da. Genau wie das Telefon. Die Frau summt leise. Der Schaukelstuhl wippt leicht. Immer vor und zurück. Der Mann geht wieder zu seinem Stuhl. Er setzt sich hin. Die Frau blickt leicht abwesend auf. „Wann wollten die beiden denn anrufen?“, fragt sie lächelnd. Er schluckt. „Ich weiß es nicht.“, sagt er. Die Frau nickt. Sie sieht wieder auf ihre Strickarbeit. „Ich möchte jetzt bald zu Bett gehen. Aber ich werde noch warten, bis sie angerufen haben. Nicht, dass etwas passiert ist.“ Der Mann schluckt. Er ist blass. Sein Blick ist traurig. Das telefon ist stumm. Die Uhr tickt. Der Wind pfeift. „Hast du noch immer nichts von ihnen gehört?“, fragt die Frau leise. Der Mann sagt nichts. Die Frau blickt ihn an. „Nein. Leider nicht.“, sagt der Mann. Er denkt an Julia und Peter. Er denkt an die Nachrichten von vorhin. „Sie müssen doch aber anrufen.“, sagt die Frau leicht verwirrt.

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