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    Last Walk through the Night (Kurzgeschichte)

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    Last Walk through the Night (Kurzgeschichte) Empty Last Walk through the Night (Kurzgeschichte)

    Beitrag  Admin Do Okt 06, 2011 6:47 am

    „Hilfe, nein, lassen Sie mich los!“ Carlos stutzte. Er hatte doch gerade jemanden schreien hören. Hastig bewegte er sich in die Richtung, aus der die Stimme gekommen war. Dann sah er sie auch schon. Sie lag auf dem staubigen Weg und kämpfte ächzend gegen den Mann, der auf ihr lag. Sie wehrte sich, doch der Mann war stärker und hielt ihre Hände fest. „Na, Süße wollen wir nicht etwas Spaß miteinander haben?“ Der Mann lachte leise und boshaft. Man konnte sein Vorhaben in seinen Augen blitzen sehen. „Hey, lassen Sie sie los!“ Carlos rannte auf die Beiden zu. Als der Mann aufsah und den Fremden auf sich zulaufen sah, schreckte er hoch. Doch Carlos war zu schnell. Er gab dem Mann, der immer noch über der Frau lag, einen ordentlichen Tritt in den Magen. Der Perverse wurde weggeschleudert und blieb ächzend zwei Meter entfernt liegen. Die Frau hatte alles nur starr beobachtet und lag noch immer unbewegt am Boden. Carlos reichte ihr seine Hand und half ihr auf ihre Beine. „Alles in Ordnung?“ Bei näherer Betrachtung war die Frau noch ziemlich jung. Sie konnte höchstens 25 sein. Das Mädchen nickte nur stumm. „Gut, dass ich Fußballer bin. Der steht so schnell nicht mehr auf.“ Carlos warf einen Seitenblick auf den Mann. Da stutzte er erneut. Der Perverse war spurlos verschwunden. Als hätte es ihn nie gegeben. Kurz wunderte sich Carlos, doch dann konzentrierte er sich wieder auf das Mädchen. Sie stand nur stumm da und starrte mit leerem Blick vor sich hin. Carlos musterte sie etwas genauer. Sie hatte lange, schwarze Haare, die ihr in sanften Wellen knapp über die Schulter reichten. Ihre kleinen, aber schönen Augen waren von einem hellen Grün, wie frisches Gras im Frühling. Sie war recht merkwürdig angezogen für diese späte Stunde. Sie trug eine hellblaue Jogginghose und ein dazupassendes Top. Doch was war das? Auf der linken Seite, direkt über ihrer Brust, war ein kleines Emblem aufgebügelt. Das Emblem der städtischen Klinik für psychisch überlastete Patienten. ‚Na so was. Sie sieht gar nicht so krank aus...’ Das Mädchen sah ihn milde interessiert an. „Dankeschön.“ Mehr sagte sie nicht. Carlos nickte nur. Sie drehte sich um und ging, wie im Schlaf, davon. „Hey, Moment mal, wo willst du denn hin?“ Carlos eilte ihr nach. Sie blieb nicht stehen. „Ich muss zum Friedhof.“ Sie sagte es sehr leise, Carlos hätte es fast nicht gehört. „Warum das?“ Sie antwortete nicht. „Warum?“ Carlos ließ nicht locker. „Ich muss dort hin.“ Mehr sagte sie wieder nicht. Carlos seufzte. „Und zu welchem?“ Sie blieb stehen. „Wie, welcher?“ „Zu welchem Friedhof willst du? Es gibt 4 in dieser Stadt.“ Sie sah in abwesend an. „Zum Memorial Friedhof.“ Wieder geflüstert. „Okay, dann begleite ich dich, damit dir nichts passiert.“ Sie nickte nur wieder abwesend und ging weiter. Schweigend wanderten sie nebeneinander her. „wir könnten die U-Bahn nehmen, dann sind wir schneller da.“ Wieder ein Nicken, sie schien mit ihren Gedanken ganz woanders. Carlos gab seine Versuche, eine Unterhaltung in Gang zu setzen, auf. Das Mädchen schien viel zu versunken in ihre Gedanken zu sein. Sie starrte mit trüben Augen apathisch vor sich hin. In der U-Bahn schlief sie, stehend an eine Stange geklammert, ein. Als ihre Station kam, weckte Carlos sie, indem er sie sanft an der Schulter berührte. Sie war nicht erschrocken, schlug einfach nur die Augen auf und setzte sich in Bewegung, als die Türen aufgingen. Wieder Schweigen. Irgendwo läutete eine Turmglocke. Es war bereits ziemlich spät. Dann standen sie vor den Toren des Friedhofes. Er war nicht sonderlich groß und die alten zugewachsenen Grabsteine ließen darauf schließen, dass er schon lange nicht mehr gepflegt wurde. Carlos fragte sich, was das Mädchen auf einem so alten und nicht mehr benutzten Friedhof wollte. Das Tor war mit einer Kette und einem schweren Schloss versperrt. „Sieht aus, als ob wir nicht weiterkommen würden.“ Während er das sagte, sah er zu ihr hin. Doch sie war plötzlich weg. Erschrocken drehte er sich um. Sie stand bereits auf der anderen Straßenseite und klopfte an eine Ladentür. Ein Schild über der Tür wies es als ein Bestattungsunternehmen aus. „Da wird niemand mehr sein, es ist bereits spät. Der Laden hat bereits geschlossen.“
    Kaum hatte Carlos geendet, ging, entgegen seiner Aussage, plötzlich Licht hinter dem Schaufenster an. Leise klickte das Türschloss und mit einem Knarren öffnete sich die Holztür. Ein alter Mann stand vor ihnen. Ein sehr alter Mann. Sein Haar war schlohweiß, sein Gesicht war so runzelig, dass sogar die Falten noch Falten hatten. Gebückt und schwer auf einen Gehstock gestützt, sah er den Beiden entgegen. Sein fragender Blick wanderte von Carlos zu dem Mädchen. Plötzlich ein kleines Strahlen über sein Gesicht. „Ich habe dich bereits erwartet.“ Der Satz galt ihr. Sie starrte nur weiter apathisch in seine Augen. Carlos verstand nichts mehr. Der Mann schien mehr zu wissen als er. Genannter humpelte bereits zum Tresen, kramte dort einige Zeit lang und kam dann zurück. In seinen Händen trug er ein kleines Kästchen, das reich verziert war. Mit einem weiteren Lächeln öffnete er das Kästchen, griff hinein und drückte Carlos dann ohne ein Wort einen Schlüssel in die Hand. Dieser war vollkommen verwirrt. Ohne ein weiteres Wort schloss der Mann wieder die Tür. Das Licht erlosch uns so standen die Beiden, wieder alleine, im Dunkeln vor der Tür. Carlos fragte sich, was das ganze sollte. Wieder wollte er das Mädchen etwas fragen, doch die war erneut bereits auf der anderen Straßenseite. Sie stand wieder vor dem Tor. Als Carlos bei ihr war, nahm sie ihm sanft den Schlüssel aus der Hand. Ihre Finger waren überraschend kalt. Carlos spürte die Berührung wie einen kalten Luftzug auf seiner Handinnenfläche. Mit einem lauten Knacken öffnete sich das Schloss. Scheppernd fiel die Kette zu Boden. Das Tor quietschte laut als sie es aufdrückten. Das Mädchen setzte sich in Bewegung. Sie schien etwas zu suchen, sah sich um, während sie langsam den zugewachsenen Weg entlangging. Irgendwann – nach einer kleinen Ewigkeit, wie es Carlos vorkam – blieb sie stehen. Das Grab, welches sie nun betrachtete, war groß. Vermutlich ein Familiengrab. Langsam kam Carlos ein Verdacht. Hinter dem Grabstein stand ein steinerner Engel. Er hatte seine Augen geschlossen. Die Flügel leicht abgespreizt, stand er, mit zusammengelegten Händen, hinter dem Grabstein. Der graue Stein war früher bestimmt äußerst ansehnlich gewesen. Jetzt allerdings war er von Efeu bedeckt. Das Mädchen kniete sich vor den Grabstein. Carlos stellte sich hinter sie und las die Inschrift:
    Hier ruht in Frieden die Familie Jenkovic

    In goldenen Lettern leuchteten darunter die Namen der Verstorbenen:

    Karla Jenkovic
    *15.01.1945 ┼ 18.02. 1999
    Hannes Jenkovic
    *03.02.1940 ┼ 18.02.1999
    Jeffrey Jenkovic
    *16.08.1974 ┼ 18.02.1999
    Cindy Katharina Jenkovic
    *17.12.1991 ┼ 18.02.1999

    Ein Stückchen darunter war etwas hinzugefügt worden; eine Inschrift, ein weiterer Name und ein Datum, das 2 Monate nach dem Todesdatum der anderen angeführt war:

    Viel zu früh bist du deiner Familie gefolgt.


    Anna Karla Jenkovic
    *20.02.1975 ┼ 18.04.1999

    RUHET IN FRIEDEN!

    „Wieso steht dort mein Name?“ Carlos sah das Mädchen perplex an. „Wieso dein Name? Wie heißt du denn?“ Schweigen. „Anna Karla Jenkovic.“ Leise, langsam, ungläubig kommen die Worte. Carlos bekam eine Gänsehaut. „Wieso steht dort mein Name? Ich bin doch nicht tot...“ „Vielleicht... ein... Verwaltungsfehler?“ Der Wind bläst ihr die Haare ins Gesicht. „Nein, es ist wahr.“ Carlos’ Herz bleibt fast stehen. Er sieht nach rechts von wo die Stimme gekommen war. Dort stehen eine Frau, ein Mann, ein weiterer jüngerer Mann und ein kleines Mädchen. Alle sehen herüber. Sie sehen Anna an. Diese steht auf und sieht ungläubig und verwirrt zu ihnen. Zu denen, die ihre Familie sind. „Du bist tot. Komm zu uns.“ Das kleine Mädchen streckt die Arme nach ihr aus. Anna bewegt sich nicht. Carlos setzt an etwas zu sagen. Er kann nicht. Nochmal setzt er an. Kein Erfolg. „Was ist hier los?“ Endlich gelingt es ihm. Die Toten sehen ihn an. Die Frau lächelt ihn an. „Wir sind tot. Alle. Auch unsere Anna. Wir starben bei einem Verkehrsunfall, als wir Anna von einem Bahnhof abholen wollten. Unsere, sensible kleine Anna, sie hat es nicht verkraftet. Sie wurde in die Klinik eingeliefert. Seit zehn Jahren warten wir, dass sie zu uns kommt. 2 Monate nach dem Unfall brach sie aus der Klinik aus. Doch sie wurde im Park überfallen und getötet. Ihr Mörder ist kurze Zeit später bei einer Schießerei umgekommen. 10 lange Jahre ist sie jedes Jahr dieselbe Strecke gelaufen. 10 lange Jahre hat er ihren Geist wieder überfallen. Und heute hast du sie vor ihm gerettet. Dadurch kann sie nun endlich zu uns kommen. Dank dir können wir nun alle in Frieden ruhen.“ Die Frau beendete ihre Erzählung mit einem Lächeln. Carlos war still, sprachlos. Anna ging langsam zu ihrer Familie. Diese nahmen sie alle in den Arm. Eine merkwürdige Stille lag in der Luft. Eine fast unheimliche Ruhe war zu spüren. Anna drehte sich um. Ein plötzlicher Windstoß trieb ihre Haare aus dem Gesicht. „Danke.“ Dieses eine Wort war klar und deutlich zu verstehen. Ein Lächeln auf ihrem Gesicht, ein Leuchten in ihren Augen. Plötzlich waren alle verschwunden. Spurlos. „Sie haben mich eingeweiht.“ Carlos drehte sich abrupt um. Der alte Mann von vorhin stand vor ihm. „Sie haben mir alles erzählt und mich vorbereitet. Carlos drängte sich eine Frage auf. „Warum konnte ich sie berühren? Und den Mann?“ Der Alte lächelte traurig. „Weil sie alles für real hielt. Sie dachte, sie würde noch leben. Dadurch hat sie alles berührbar gemacht. Jetzt kann sie in Frieden ruhen. Braver Junge.“ Der Mann lächelte verschmitzt und humpelte davon. Carlos blieb vor dem Grab alleine zurück. Oder doch nicht ganz alleine?......

    The End

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